Am 18. August 1899 beendete Föttinger sein Studium in München.
Auf Empfehlung eines seiner Professoren, Prof. Moritz Schröder, der guten Kontakt zu seinem ehemaligen Schüler, Dr. Gustav Bauer, beim Stettiner Vulcan unterhielt, bewarb sich Föttinger dort am 8.9.1899 und schon am nächsten Tag bekam er von Direktor Geheimrat Flohr ein Stellenangebot mit folgendem Inhalt:
Bredow b. Stettin, 9. September 99
Herrn Hermann Föttinger, Nürnberg, Königstr. 58
Auf Ihre Zuschrift vom 8. d. Mts.
benachrichtigen wir Sie, daß wir Ihnen unter Bewilligung eines Anfangssalairs
von M 150.- pro Monat eine Stelle in unserem Constructionsbureau für
Schiffsmaschinenbau übertragen wollen, die Sie am 1. November d.J. anzutreten
haben würden.
Als Kündigungsfrist setzen wir eine einmonatige fest, mit der Maßgabe, daß eine
Kündigung nur am Schlusse jeden Monates zulässig ist.
Wir sehen Ihrer umgehenden brieflichen oder drahtlichen Erklärung über die
Annahme der Stelle entgegen; andernfalls werden wir nach anderer Seite eine
Entscheidung treffen.
Hochachtungsvoll
Gez. Cornehls und Flohr
Damit begann Föttinger seine erfolgreiche Tätigkeit beim Stettiner Vulcan, die gekennzeichnet war durch unermüdliche und strebsame Arbeit, die ihn auch in seinen „Musestunden“ nicht losließ.
Neben den ersten Patenten, der Mitarbeit an einem Buch von Dr. Gustav Bauer waren es insbesondere der Torsionsindikator und der Föttinger-Transformator, die Föttingers Arbeit beim Stettiner Vulcan prägten.
Sein umfangreiches Aufgabengebiet hat Föttinger selbst einmal so beschrieben:
Von 1899 – Ende 1901 arbeitete ich anfangs unter Verantwortung älterer Konstrukteure, später selbständig im Handelsschiffs-Maschinenbau., wobei sich meine Tätigkeit hauptsächlich auf Berechnung und Entwurf folgender Details erstreckte:
150 T. Schwimmkran,
Hauptdampfleitungen,
Details der Hauptmaschinen, Cylinder etc.,
Condensatoren,
Simplex- und Duplex-Dampfmaschinen,
Massenausgleiche,
Fundamentberechnungen etc.
Während dieser ersten zwei Jahre
ergänzte ich meine Werkstatt-Ausbildung durch täglichen 1-2 stündigen Besuch der
Vulcan-Werkstätten und Schiffe.
Von 1901 – 1902 bearbeitete ich im Kriegsschiffmaschinenbau die Hauptmaschinen
von S.M. Kanonenboot „Eber“. In meinen Musestunden entstand 1902 die Idee und
Konstruktion der ersten
Torsions-Indikatoren, über die ich 1902 in einem Vortrag vor der
Schiffbautechnischen Gesellschaft berichtete.
1903 wurde ich mit dem selbstständigen Entwurf und den Versuchen an dem ersten
Propeller-Versuchsboot betraut, dessen gesamte Maschinen- und Messeinrichtungen
ich ausarbeitete.
Ende 1903 beauftragte mich der „Vulcan“ mit der Einführung und Erprobung eines
neuen, eigenen Dampfturbinen-Systems. Nachdem mir zu diesem Zwecke eine eigene
Konstruktions-Abteilung unterstellt war, hatte ich Gelegenheit, meine Ideen an
einer 550 PS Versuchsturbine, der ersten Aktionsturbine nach dem Trommel-System,
zu verwirklichen. Das betr. Turbinen-System ist, mit geringen Abweichungen,
später in Form der Melms-Pfenninger-Turbine in grossem Massstab ausgebildet
worden. Die von mir entworfene Versuchsturbine kam 1905/06 zur Erprobung.
Meinem stetig vergrösserten Büro wurden ausser Versuchen und schwierigen
Sonderkonstruktionen auch Aufgaben aus den anderen Konstruktionsabteilungen
zugewiesen, insbesondere als der „Vulcan“ den Torpedobau wieder aufnahm, die
Ausarbeitung zahlreicher Hilfsmaschinen (Umsteuer-Ventilationsmaschinen,
Simplex- und Duplexpumpen etc.)
Als ich 1904 für den Lehrstuhl für Mechanik in Hannover durch Professor Prandtl
vorgeschlagen wurde, verpflichtete mich der „Vulcan“ durch einen dreijährigen
Kontrakt als Bürochef für die Jahre 1905/06/07. Dieser Vertrag wurde Ende 1907
um 5 Jahre verlängert, da ich einen sehr aussichtsreichen Ruf an die technische
Hochschule Dresden (Professur für Dampfmaschinenbau) ablehnte, ausserdem wurden
mir die gesamte Ressorts für Dampfturbinenbau, Spezialkonstruktionen und
Versuche officiell unterstellt.
Von meinen Arbeiten seit 1904 seien nur folgende erwähnt:
Ausbildung der Schlick´schen Schiffskreiselmodelle zu praktischen Konstruktionen für den Grossbetrieb (Dampfer „Seebär“ & „Silvava“)
Ausbildung erster Schubmesser für Messung des Propellerschubes (Dampfer „Kaiser“, Turbinenkreuzer „Stettin“ & „Mainz“)
Festigkeitsmaschine für die technische Hochschule Charlottenburg (zu dynamischen Festigkeitsversuchen)
Komplette Gebläse-Anlage für S.M.S. „Stettin“
Komplette Kondensationsanlage für S.M.S. „Mainz“
Einführung und Durchbildung moderner Centrifugalpumpen auf S.M.S. „V.161“ und „Mainz“
Versuche über Wärmedurchgang und Strömungswiderstände verschiedener Kondensationsanlagen.
Versuche über den Dampfverbrauch grosser Schiffsmaschinen und Turbinen, sowie der zugehörigen Hilfsmaschinen
Versuche über reine Ölfeuerung bei Marine Kesseln.
Projektierung sämtlicher neuen Schiffsturbinen-Anlagen des „Vulcan“ bis Dezember 1909 z.B. Torpedoboote „V 161“, „V 162/4“, „V180-85“, 6 Boote 1909, Kreuzer „Mainz“ & Ersatz „BUSSARD“, deutsche und ausländische Linienschiffe mit Turbinen (Linienschiff „Ersatz Heimdall“) etc. etc., 50000 T. Schnelldampfer für die Hamburg-Amerika-Linie
Ausbildung der Theorie, Berechnung und Konstruktion des hydrodynamischen Transformators.
Bezüglich meiner praktischen Betätigung
seien noch meine Teilnahme an fast allen Probefahrten des „Vulcan“ seit 1900,
sowie 3 Dienstreisen mit dem Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm II“, „Kaiserin
Victoria“, „“Amerika“ & „George Washington“ nach den Vereinigten Staaten
erwähnt.
Vom 1.11.1899 bis 14.8.1909 hatte sich Hermann Föttinger vom einfachen Konstrukteur zum Chef des Konstruktionsbüros emporgearbeitet. Er muss ein schier unmenschliches Arbeitspensum absolviert haben. Den Vertrag mit dem Stettiner Vulcan musste er aus gesundheitlichen Gründen kündigen, weil er schließlich dem Stress nicht mehr gewachsen war. Föttinger begründet dies in einem ausführlichen Kündigungsschreiben vom 28.Mai 1909. Der Vulcan nimmt die Kündigung mit Schreiben vom 8. Juni 1909 an.
Föttinger verließ den "Stettiner Vulcan" um den an ihn am 19. August 1909 ergangenen Ruf auf eine neu eingerichtete Professur für Schiffsturbinen, Propeller, Schiffskessel & Lasthebemaschinen für die Schiffbau-Abteilung an der TH Danzig zum 1.1.1910 anzunehmen, blieb dem "Stettiner Vulcan" aber noch bis 1915 als Berater verbunden.