Am 28.12.1973, verstarb, wenige Tage nach einer strapaziösen Indienreise Professor Dr.-Ing. Rudolf Wille.Professor Wille war u.a. der letzte Oberingenieur Hermann Föttingers und der Gründer des heutigen Hermann-Föttinger-Instituts für Strömungsmechanik und des Instituts für Turbulenzforschung der damaligen DFVLR

Ein Auszug aus "Die Welt" vom 21.8.1971 anlässlich des 60. Geburtstags von Professor Dr.-Ing. Rudolf Wille am 22.8.1971 möge denen, die ihn noch kannten Erinnerungen wachrufen und denen, die nicht den Vorzug hatten, ihn kennenzulernen, Gelegenheit geben, etwas über seine Persönlichkeit zu erfahren.

Seine wissenschaftliche Tätigkeit ist u.a. durch die Liste seiner Publikationen dokumentiert



Nicht nur ein Technik-Professor

Strömungsforscher Rudolf Wille wird morgen (22.8.1971) 60 Jahre alt.

Wer ihn erlebt, diesen Rudolf Wille, ohne zu wissen, daß er Ordinarius an der TU und Chef des Föttinger-Instituts für Strömungsforschung ist, würde bei ihm niemals auf einen deutschen Professor tippen. Er hat in seinem Wesen nichts von diesem Typ, ist alles andere als ein "Fachidiot". Von ihm geht der Charme des Unakademischen und Weltläufigen aus; ihm eignet eine Urbanität, die man, mit Thomas Mann zu sprechen, "wohltuend undeutsch" nennen kann. Seine Studenten sollten sich beglückwünschen, einen so unprofessoralen Professor zu haben.

Bezeichnend für Willes geistige Haltung ist seine überordnende Sicht der von Haus aus technischen Phänomene. Niemals behandelt er sie, als stünden sie allein im Raum, als gäbe es so etwas wie einen technischen Raum für sich. Immer sieht er sie in größeren Zusammenhängen von Kategorien, die nichts Technisches mehr oder doch nichts Nur-Technisches an sich haben.

Dieser Strömungsforscher, der als Fachmann einen guten und weltweiten Namen hat, dem sein Institut Neuaufbau und Reform in der Nachkriegszeit verdankt, ist vielleicht der einzige Ingenieur (wie er sich, bescheiden, gern nennt), an dem ein Geisteswissenschaftler verlorengegangen ist. Immer wieder können es seine Freunde erleben, wie er bei seinen Exkursionen ins Historische, in Territorien der sogenannten geisteswissenschaftlichen Disziplinen mit seinem seltsam ungetrübten Blick und erstaunlichem Wissen neue Aspekte gewinnt.

Wenn er nun trotzdem 60 wird, kann man getrost konstatieren, daß dieser amtliche Befund lediglich seine Physis bezieht. Sein Charakter hat so gar nichts von einem Sechzigjährigen, ihn umflort eher eine heimliche Jugendlichkeit. Entbehrt er dergestalt der konventionellen "Würde" seines Alters, so ist er doch mit Anstand Familienvater und Erzeuger von drei Kindern, für die er aufopfernd sorgt; dies im Zusammenspiel mit einer Gattin, die zu seinem Glück intelligent genug ist, ihn in seiner Wesensart ganz zu begreifen und zu werten.

Charakteristisch für die Tendenz dieses originellen Mannes, stets über die Grenzen seines Fachbereichs zu sehen sind seine Veröffentlichungen. In der Minderzahl behandeln sie fachliche Themen, vielmehr spüren sie fast einer Synthese nach. Nicht von ungefähr haben ihn die Engländer gleich nach dem Krieg nach Cambridge geholt, ist er Verbindungsmann zwischen der TU und dem berühmten MIT, dessen Forschungsprinzipien er für Deutschland fruchtbar zu machen wusste.

Gerade die angelsächsischen Strukturen, moderne Wissenschaft zu treiben, wie er sie in England und in den USA kennengelernt hat, haben sich bei ihm eben wegen seiner überfachlichen Aufgeschlossenheit zum Wohl des abgestandenen deutschen Wissenschaftsbetriebes verwerten lassen. Wille war einer der ersten, der die Gefahr erkannte, die deutsche Forschung, in der Nazizeit verkommen, werde nach Kriege zu spät den Anschluß an die Welt finden - noch wichtiger: der sich darum sorgte, auf welche Weise dies wohl verhindert werden könne.

Sein Wirken in dieser Richtung hängt nicht nur innig zusammen mit seiner geistigen Art, über das jeweils Spezielle hinauszugreifen, vielmehr auch mit seiner Mobilität, sich ständig selber zu revidieren. Dies, meinen wir, sollte doch bei Gelegenheit seines 60. Geburtstages einmal ausgesprochen werden, weil der Fall Wille, gerade infolge seiner Singularität, und modellträchtig zu sein scheint.

Dr. Friedrich Roemer (Feuilleton-Redakteur "Die Welt")